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Sehr geehrte Ratsmitglieder der SVP,
nachdem Anfang September die FISI mit 8 zu 2 Stimmen entschieden hat, dass Gröden als Kandidat für Italien für die Ski-Weltmeisterschaft 2029 ins Rennen geht, stehen nun in Hinblick auf die zukünftige Entwicklung unseres Tales weitreichende Entscheidungen an. Dabei muss berücksichtigt werden, dass die effektive Kandidatur in eineinhalb Jahren, d.h. im Frühjahr 2023, bei der FIS eingereicht werden muss und die definitive Entscheidung des internationalen Skiverbands erst 2024 erfolgen wird.
Es ist allgemein bekannt, dass die Ski-WM von 1970 wesentlich zur Entwicklung und zur schrittweisen Etablierung unseres Tales als Tourismushochburg beigetragen hat, mit den vielen positiven Aspekten und einigen Schattenseiten, die der wirtschaftliche Aufschwung mitunter gebracht hat. Nennenswert ist, dass in den darauffolgenden Jahrzehnten sowohl der Gemeinderat von St. Ulrich als auch die Bevölkerung Grödens bereits mehrmals gegen eine erneute Austragung der Ski-WM gestimmt haben, was durchaus Anlass zu einer kritischen Hinterfragung über die Sinnhaftigkeit bzw. Notwendigkeit eines solchen Großevents sein sollte.
Nun steht das Thema wieder auf der Tagesordnung, wobei es durchaus bedauerlich ist, dass u.a. aufgrund der Zeitknappheit kein öffentlicher Diskurs stattgefunden hat und es zugleich zeitlich nicht möglich war, konkrete Projekte auszuarbeiten oder auch nur Ideen einzubringen, wie man die altbekannten Probleme unseres Tales im Sinne einer wirklich nachhaltigen Entwicklung lösen könnte.
Genau hier müssen wir nun ansetzen, denn nur mit der Beantwortung einiger zentralen Fragen, fernab von jedem Populismus, kann eine fundierte und durchdachte Entscheidung getroffen werden.
Das Tal muss sich fragen, wo es in 10 Jahren und darüber hinaus stehen will, bzw. für was es stehen will. Wenn heute nicht nur bekennende Umweltschützer sondern selbst einflussreiche Touristiker unseres Tales in Bezug auf die Belastung in Gröden während der Hauptsaisonen von „Overtourism“ sprechen, so sollten wir uns einig sein, dass eine Kehrtwende in Richtung eines sanfteren Qualitätstourismus zur Verbesserung der Lebensqualität der einheimischen Bevölkerung konsequent anzustreben ist.
Das sportliche Event an sich, mit den entsprechenden Anforderungen, bereitet uns kaum Sorgen, da über die langjährige Erfahrung und die daraus resultierende Professionalität der Organisatoren kein Zweifel besteht. Auch für die Nachwuchssportler und alle Sportfans des Tales ist eine Ski-WM ein willkommenes Event, erst recht, wenn durch die Veranstaltung auch für die Vereine, speziell die Wintersportvereine des Tales, ein langfristiger Mehrwert entstehen würde.
Die alles entscheidende Frage ist allerdings, ob Gröden es tatsächlich schafft, durch eine WM oder eben trotz einer WM, weiterhin Tourismus auf hohem Niveau zu betreiben und dies im Sinne einer gesunden Entwicklung und der Erhaltung des Lebensraums für unsere Nachkommen? Daraus leiten sich auch weitere, konkretere Fragen ab: Ist es wirklich möglich, ein Großevent wie eine WM nachhaltig zu organisieren? Schaffen wir es gemeinsam, realistische Projekte auszuarbeiten und umzusetzen, die wirklich zu einer positiven Entwicklung unseres Tales im Sinne einer intergenerationalen Gerechtigkeit führen? Was braucht unser Tal wirklich, damit es für alle seine Einwohner als lebenswerter Raum erhalten bleibt?
Zum heutigen Tag fehlt ein ganzheitliches Konzept, wie man es durch eine Ski-Weltmeisterschaft schafft, auf diese Fragestellungen klare Antworten zu geben. Aber genau darin erkennen auch wir die Chance eines Großevents, das uns, evtl. in Anlehnung an den bereits bestehenden Masterplan "Vision Gherdëina", geradezu zur Ausarbeitung einer übergemeindlichen Agenda zwingt, mit dem Ziel, den Tourismus sowie auch die anderen Wirtschaftszweige in eine nachhaltigere, sanftere Richtung zu lenken.
Bevor wir ein klares „Ja“ oder ein klares "Nein" zu einer WM in Gröden aussprechen können, möchten wir wissen, in welche Richtung die Projekte und die Vorhaben auf Talebene gehen werden.
Wie kann man gewährleisten, dass neben der Tourismusbranche auch die anderen Kategorien unseres Tales, wie z.B. die Handwerker und die Kunsthandwerker, die Bauern, Jugendliche und junge Familien usw. von der WM langfristig profitieren können? Welche Infrastrukturen gedenkt man tatsächlich umzusetzen mit den Fördergeldern, die voraussichtlich ins Tal fließen werden? Mit welchen Vorhaben schafft man es, das enorme Verkehrsproblem zu lösen? Welche verbindlichen Zusagen hat man, dass man die öffentliche Mobilität auf Elektroantrieb umstellen möchte, und dass man Großprojekte wie eine neue Grödner Bahn tatsächlich unterstützt und vorantreiben möchte? Ist man tatsächlich gewillt, für die Pässe eine konkrete Lösung zu finden? Hat man die Garantie, dass keine neuen Skipisten und Aufstiegsanlagen für die WM gebaut werden? Sind im Tourismus auch alle Akteure bereit, einem Bettenstopp zuzusagen?
Das programmatische Dokument der Organisatoren, das der FISI im Sommer unterbreitet wurde, ist ein guter Ausgangspunkt und ein klarer Leitfaden. Nun müssen die darin enthaltenen Ansätze mit umsetzbaren Projekten gefüllt werden. Nur wenn wir die WM nutzen, um eine rundum positive Entwicklung einzuleiten, die Gröden dazu verhelfen kann, sich weltweit als Vorzeigemodell eines nachhaltigen Tourismus zu positionieren, macht eine solche Veranstaltung auch wirklich Sinn. Die WM als Katalysator für einen Paradigmenwechsel in Gröden, das soll das ambitionierte Ziel der Kandidatur sein!
Unumgänglich wird es sein, in den kommenden Monaten die Vertreter aus verschiedenen Sparten, Kategorien und Vereinen in die Diskussion miteinzubeziehen, um gemeinsam in einem partizipativen Prozess Antworten auf offene Fragen zu finden, Ideen zu möglichen Projekten zu sammeln und mit Hilfe von Experten bzw. erfahrenen Planern aufgezeigt zu bekommen, welche Infrastrukturen sinnvoll bzw. umsetzbar wären, mit dem Ziel einen Mehrwert für die gesamte Bevölkerung zu erzielen.
Eine definitive Ja-Stimme zur WM wird es in St. Ulrich dann geben, wenn wir überzeugt sind, dass das Konzept Hand und Fuß hat. Eine Annahme des vorliegenden Beschlussantrages in diesem Moment entspräche einer Unterschrift auf einem Blankoscheck, was zu diesem Zeitpunkt verantwortungslos wäre. Eine Gegenstimme würde hingegen die Beteiligung von St. Ulrich an der Ausarbeitung der Projekte kompromittieren, was nicht unsere Absicht ist.
Aus diesem Grund wird sich die Mehrheit der Lista Unica der Stimme enthalten. Wir bekräftigen hier aber auch unsere Absicht, uns bis zur Abgabe der effektiven Kandidatur in die Ausarbeitung der Projekte einzubringen, um beim Vorliegen eines überzeugenden Gesamtkonzeptes eine eindeutige Position einnehmen zu können.
Die Ratsgruppe Lista Unica